Ich hatte zuviel Gepäck, zuviel Fernweh und zuviel Abstand zu der Vorstellung, dass jetzt alles vorbei ist. Ein Jahr Studium, ein Monat Reisen – ein anderes Land, andere Mentalität und eine andere Sprache. Ich wollte nicht weg und das Ticket nach Deutschland wog mehr als meine übervollen Koffer. War es Zeit zurückzugehen? Ich wollte nicht und dann kam sie: die Rettung? Ein paar Tage vor meinem Abflug erhielt ich eine Mail – das Praktikum, um das ich mich vor Monaten beworben hatte und gnadenlos abgeschmettert wurde, ist jetzt doch zu haben. Einen Monat im RTL Auslandsstudio in New York City. Entlohnung: unbezahlt. Erfahrung: unbezahlbar und für alles anderes hat man… ich zumindest keine Visa und auch kein Visum und überhaupt: ich war verwirrt. Sollte ich es absagen? Mein Studium etwas später beginnen? Einen Monat in New York bleiben? Die unerträgliche Situation des Abfluges gekonnt verzögern? Die Antwort auf all meine Jammereien („Ich will nicht zurück!“)?
Eine der wohl schwersten Entscheidungen meines Lebens. Ich sagte sie ab. In all dem Trubel und die Angst, hierbleiben zu wollen, merkte ich plötzlich, dass es doch Gründe gibt zurückzugehen: Familie. Freunde. Liebe.
Und dennoch. Bereits in der ersten Nacht in Deutschland war mir klar, dass diese Grundlage nicht existiert. Das ich hier genauso wenig hingehöre wie für immer nach Kanada oder New York. Selbst mein all zu geliebtes Bamberg – in dem ich mich einmal so wohl gefühlt habe – ist fremd. Die Zeit lief weiter und Erinnerungen löschen sich. Meine Zimmer sind wieder so eingerichtet wie früher und trotzdem fühle ich mich wie auf Probe. Manchmal erwische ich mich dabei, in Gedanken zu verfallen, und darüber nachzudenken wer ich eigentlich gewesen bin. Vor einem Jahr. Ich schaue mich um und sehe teure Organza-Vorhänge, Designerlampen, Skulpturen, unzählige Bücher, Kunstdrucke und meine geliebte Truhen-Sammlung. Zumindest mit Letzter kann ich mich noch identifizieren. Doch der Rest? Ein bischen wie im Hotel ist es hier und früher muss es doch einen Grund gegeben haben, warum ich mich damit umgab? Ich hatte mehr Geld – vielmehr und leider gibt man es mit Unnützigkeit aus. In Kanada war das anders: Da wurde alles in Reisen und Museen investiert – gelebt eben. Aber der Alltag in Bamberg ist anders und ich hoffe, dass er auch für mich mit dem Eintritt ins Uni- und Arbeitsleben wieder kommt. Wenigstens so ein bischen – bis zur nächsten Lebensstation.
Oktober 21, 2006 at 11:19 am
Erinnerungen löschen sich niemals. Sie werden höchstens mit Postern abgehängt. Aber letztendlich werden sie immer da sein. Und zu Hause ist überall dort, wo Menschen einen in die Arme schließen.
Oktober 22, 2006 at 3:37 pm
@ Anonym: Bleibt zu hoffen, dass sie das tun werden. Danke für Deinen Kommentar. Nicole.
Oktober 23, 2006 at 1:19 am
Liebe Nici,
dickes Bussi aus Washington… guck mal auf meinem Blog und bewerte die Jungs! HAHAHA!
Hoffe, es geht dir gut in Bamberg!
Bussi von Pauli 🙂
Oktober 23, 2006 at 9:50 am
niciii. bern ist auch wie eine mutter, die dich liebevoll in die arme schliesst, wenn du es zulässt!
Oktober 23, 2006 at 10:33 am
@ Sir_n: Das klingt ja vielversprechend und ich freue mich auch drauf :-)Danke für Deinen Kommentar!
Oktober 24, 2006 at 4:42 pm
Ich hab etz ne ganze Weile gegrübelt inwieweit ich dir „tröstende“ Worte schreiben kann/soll. Hab nen ähnlichen Kulturschock ja auch schon mitmachen dürfen und theoretisch könnte da ne nützliche Erfahrung dabei gewesen sein. Aber irgendwie fällt mir der Transfer schwer, und wenn ich Pech hab schreib ich komplett an dem vorbei, was relevant ist, aber ich versuchs trotzdem.
Du hast das schon schön geschrieben mit dem Wechsel der Lebensstation. Gefühlsmäßig wechselt man zurück in eine „alte“ Situation und vermisst alle Aspekte die man vorher gewonnen hatte. Aber ist es nicht in Wirklichkeit kein Schritt zurück sondern nach vorne – auch wenn er über eine bekannte Station läuft?
Nach vorne heißt hier dann denke ich genauso wieder Veränderung – Freundschaftsverhältnisse verändern sich genauso wie die Wahrnehmung von bestimmten Situationen. Ich hab es als ich aus Malaysia zurück kam extrem interessant gefunden zu sehen wie für mich hier Veränderungen ergeben haben – oder eben nicht.
An dieser Stelle erkennt man auch, wer im gesamten Repertoire von Freunden und Familie als Fixpunkt fungiert. So wie ich dich kenne (leider hauptsächlich virtuell) hast du hier auf jeden Fall einige Leute mit denen du gut durch deine aktuelle Station durchkommst.
Kurz gefasst: Sieh Bamberg nicht als Rückschritt zu einer alten Lebensstation, sondern als Fortschritt und Brücke zur nächsten Station und lass dir keinesfalls durch Fernweh hier den Spaß verderben.
Oktober 24, 2006 at 11:32 pm
@ Jürgen: vielen Dank für Deine lieben & aufmunternden Worte. Du hast ja Recht & ganz so schwarz ist die Situation natürlich nicht. Es gibt immer noch liebgewonnene Menschen um mich herum, alte Gewohnheiten, neue Abenteuer und ich sitze auch nicht zuhause trauere. Dennoch merke ich, dass ich verändert bin und frühere Sachen mir heute einfach keinen Spaß mehr machen. Das ist wahrscheinlich ein ganz normaler Reifeprozess und ich projeziere ihn jetzt auf mein Zurückkommen. Vielleicht hat es aber auch mehr mit dem Auslandsjahr zu tun, als ich für möglich halte. Ich werde bald wieder gehen und wahrscheinlich macht dies meine momentane Situation so schwer, weil ich weiss, dass ich alles was ich jetzt aufbaue, sowieso bald wieder hergeben muss. Also warum dann aufbauen? Dennoch bin ich aber kein Mensch, der gerne alleine ist oder unaktiv – des wird scho 😉
Aber es ist interessant, was für Gedanken einem so durch den Kopf schießen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass es so gehen kann.
Nochmal danke 😉
Nici
PS: Die virtuelle Bekanntschaft werden wir ja hoffentlich bald ganz ablegen 🙂
Oktober 25, 2006 at 1:02 pm
liebe nici,
ich meinte meine eigenen zeilen zu lesen als ich diesen eintrag las. ich weiss momentan auch nicht, was ich will und soll. während meinem aufenthalt in los angeles bin ich einer sache nähergekommen, die ich lange suchte. nun bin ich wieder zu hause und es scheint, als ob eine seifenblase zerplatzt ist. ist es nur eine sache der zeit bis es mir hier wieder gefällt?
mittlerweile kann ich gar nicht mehr behaupten, dass ich wieder zurück nach los angeles möchte, aber hier ist es mir auch nicht wohl… ach: it’s a complicated disaster!
marco
Oktober 25, 2006 at 1:11 pm
@ marco: Ich weiss nicht, ob es eine Frage der Zeit ist, bis man sich wieder eingelebt hat. Mir hat vor kurzem jemand geschrieben, dass er 3 Jahre gebraucht hat. Ich hoffe es geht mir und Dir nicht so. Dennoch fühlt man sich ein bischen zwischen den Stühlen, wenn man zwei Kulturen, Sprachen und Lebensmentalitäten miterlebt hat. Ich für meinen Teil versuche, soviel wie möglich Schönes hier zu finden und ein Stück Kanada mit in meinen Alltag in Bamberg einzubauen. Zum Beispiel habe ich in Kanada ab und an Salsa getanzt – und gestern habe ich hier meine erste Salsa-Tanzstunde besucht. Das war ein tolles Gefühl. Vielleicht geht es ja so?
Lieben Gruß und Kopf hoch! Nici
April 8, 2010 at 10:32 am
Hi. Ich hätte mal ne Frage. Wo hattest du dich denn genau für das Auslandspraktikum in NY beworben?
LG Rosi